Bewaffneter oder ziviler Widerstand?

 

 

Ich spähte durch ein winziges Loch im Bretterzaun und sah ein flaches Gebäude, zwei Männer in braun-grünen Uniformen liefen über das Gelände, irgendwo in der Ferne ein Lachen, sonst nichts. Im Kindergarten brachte jeden Tag ein Mann, ebenfalls in Uniform, seinen Sohn, der Serjoscha hieß. Eine sowjetische Kaserne in meinem Heimatort in der DDR der 80er Jahre. Das ist es, woran ich mich erinnerte, als ich über den russischen Angriff auf die Ukraine nachsann.

 

Wie so viele Menschen, treibt mich dieser Krieg um und macht mich fassungslos. Besonders beschäftigt mich als Friedensforscherin die Frage: Ist das Aufrüsten, sind die die Waffenlieferungen, die Kehrtwende der deutschen Verteidigungspolitik notwendig? Müssten nicht gewaltfreier Widerstand, zivile Konfliktbearbeitung und soziale Verteidigung viel mehr unterstützt werden? Argumente gibt es für beide Seiten und natürlich tendiere ich qua meines Berufes zu letzterer. Aber wie so oft, wenn es um Konflikte geht, helfen nicht nur Argumente weiter – die ja in den einschlägigen Medien breit diskutiert werden –, sondern auch die Frage: Was ist mein persönlicher Zugang zu diesem Thema? Mir fallen meine Forschungsinterviews für meine Doktorarbeit in El Salvador ein. Dort haben sich Anfang der 1980er Jahre Guerilleros für den bewaffneten Widerstand gegen die brutale Unterdrückung der salvadorianischen Sicherheitskräfte, unterstützt vom US-amerikanischen Militär, entschieden. Sie haben sich bestmöglich gewehrt gegen diejenigen, die ihr Leben bedroht haben – für mich absolut nachvollziehbar. Allerdings hörte die Gewalt nicht mit dem Ende des Bürgerkrieges auf. Noch immer passieren jeden Tag unfassbar viele Morde, Waffen sind allgegenwärtig, unzählige Menschen haben das Land verlassen, El Salvador zählt zu einem der gefährlichsten Länder der Welt. Gewalt einzudämmen, Konflikte friedlich zu regeln, Zukunft aufzubauen ist um so vieles schwieriger als Waffen zu liefern und einzusetzen.

 

Das ist alles nicht neu. Aber wir vergessen es. Deshalb finde ich es so wichtig, dass wir über Frieden sprechen und dass wir unsere Kinder zum Frieden erziehen. Wie geht das? Die Friedenspädagogik bietet hier viele Ansätze. Im Wesentlich sind es aber drei Zutaten: Wissen, Empathie und kritisches Reflektieren. Wissen über die Geschichte eines Konfliktes, die Konfliktparteien und ihre Anliegen, aber auch über Konflikteindämmung und Friedenskonsolidierung. Empathie bedeutet die Menschen zu sehen, die unter dem Konflikt leiden, und Mitgefühl zuzulassen. Kritisches Reflektieren heißt hier, mir auf der Basis von Wissen und Werten eine eigene Haltung zu erarbeiten. In diesem Prozess befinde ich mich gerade wieder. Und wenn ich schon dabei bin, das nächste Buch, was ich wieder zur Hand nehmen werde, wird Gene Sharps Politics of Nonviolent Action sein (gibt’s das eigentlich immer noch nicht auf Deutsch?).